»Ich hab die Kyll in ihrem Bett gesehen …«
Eine Erlebnisreise mit dem RB22 von Jünkerath nach Trier (im Dezember 2019)
Jünkerath und Lissendorf-Birgel
Meine vorweihnachtliche Reise die Kyll abwärts von Jünkerath bis Trier könnte besser nicht starten. Der Zug ist pünktlich!! So pünktlich, dass ich gerade noch die Fahrkarte aus dem Automaten schnappen und in den wartenden Zug springen kann. Es hat unglaublich viel geregnet in den letzten Wochen und die Kyll hat ganz schön Wasser. Manchmal mehr, als in ihr Bett passt, verteilt es sich auf Wiesen und Äcker. Hinter Jünkerath weitet sich das Kylltal – man könnte sich einen riesigen See hier vorstellen und Birgel könnte Wassersportmöglichkeiten für Touristen anbieten. Doch bis auf weiteres gibt es nur die Birgeler Mühle, berühmt landauf, landab dank der hier versammelten alten Mühlentechnik und der Erlebnis-Gastronomie. Das ist ja auch schon was.
Oberbettingen-Hillesheim
Wenige Kilometer weitet sich der Blick aus dem Zugfenster auf die Wiesen unter Wasser und auf ein paar illustre Feriengäste, die erwartungsvoll um die Tümpel herumstehen; mindestens ein halbes Dutzend elegante weiße Vögel sind hier versammelt. Es sind Silberreiher, Stammgäste im Kylltal, die normalerweise im Donaudelta im Südosten Europas leben. Doch im Winter kreuzen sie immer häufiger auch im milden Westeuropa auf. Neben diesen Stars unter den Stelzenvögeln stehen ganz unscheinbar auch ein paar einheimische Graureiher um den Tümpel. Sicher geht es um Mäuse; Frösche sind um diese Jahreszeit wohl nicht zu erwarten.
Gerolstein
Burgen groß und klein rund um Gerolstein
Das Tal wird enger und kurz vor Gerolstein, in Pelm, kommt die Kasselburg in den Blick, jedenfalls wenn man es schafft, den Hals so zu verrenken, dass man aus dem Zugfenster hoch oben auf einem steilen Felssporn so etwas wie einen zinnengekrönten Burgturm erspähen kann. Am ehesten klappt das aus der Rückschau, wenn man mit dem Rücken zur Fahrtrichtung sitzt. Der Gerolsteiner Lokschuppen kommt in Sicht, davor geparkt vielleicht ein historischer roter Schienenbus aus den 1950er-Jahren. Darüber ragen die Felsen der Dolomiten senkrecht auf. Kurz hinter Gerolstein fliegt rechts die Wasserburg Lissingen vorbei, weniger deutlich als Burg zu erkennen, sieht sie eher aus wie der Gebäudekomplex eines Hofgutes, obwohl auch sie einen Turm hat.
Birresborn
Viele Wege führen nach Rom

In Birresborn aussteigen, um nach Rom zu wandern? Und das in einem Nachmittag – ja, das ginge, und zurück käme ich auch ohne in Rom übernachten zu müssen. Rom ist nämlich ein Dorf mit höchstens 30 Einwohnern keine 7 km weit entfernt durch den dichten Salmwald. Ganz in der Nähe entspringt der Salmbach, der in die Mosel fließt. Der Weg nach Rom ist ein schmaler Pfad steil aufwärts durch den Wald, er startet wenige Schritte hinter dem Bahnhof. Das Minidorf Rom hat auch dem Remmelbach seinen Namen gegeben, in dessen Tal der Weg zurück ins Kylltal nach Mürlenbach führt. Mürlenbach ist die nächste Zugstation, wo man die Reise nach dem Ausflug nach Rom fortsetzen könnte.
Mürlenbach
Rapunzel, Rapunzel …
Die zweitürmige imposante Front der Bertradaburg in Mürlenbach ist vom Zug aus bestens zu sehen, eine richtige Märchenburg. Gut kann ich mir Rapunzel vorstellen wie sie aus einem der Türme ihr Haar herunter fallen lässt. Das Wasser der Kyll ist rasant unterwegs, mal fließt es zwar ruhiger, aber dann wieder schäumend und brodelnd über Stromschnellen – ein mitreißender Anblick. Erst recht weil der Zug in dieselbe Richtung unterwegs ist, wird es mir manchmal ganz wirbelig im Kopf allein vom Zusehen.
Densborn
St. Thomas
Ganz dicht rücken die Steilhänge an die Straße und die eng daneben verlaufenden Bahngleise heran; selbst für den Kyllradweg ist nicht mehr genug Platz, der hier auf der Straße verläuft. Ganz nah ist auch das Kloster St. Thomas und seine barocken Gebäude, ein Blick durch das Portal muss genügen – das Bistum Trier betreibt hier ein Exerzitienhaus.
Kyllburg
Tunnelblick
Wenn der Zug in den Bahnhof Kyllburg einläuft, möchte man am liebsten aussteigen und in die kleine Stadt spazieren, die allerdings schon bessere Tage gesehen hat. Aber die Gebäude aus rotem Sandstein der Kaiserzeit imponieren, wie der ehemalige Eifeler Hof. Bei einer kleinen Stärkung könnte ich in der Bahnhofsgaststätte warten, bis der nächste Zug fährt; die sieht so gemütlich aus. Aber nein, weiter geht die rasende Fahrt – mitten hinein in einen Tunnel! Der Wilsecker Tunnel ist mit über 1,2 km Länge der längste der gesamten Strecke und wurde schon 1870 gebaut.
Hüttingen, Philippsheim, Speicher
Kleine Inseln mitten im Fluss haben sich jetzt im Hochwasser der Kyll bei Hüttingen und Philippsheim gebildet, aus angetriebenem Strauchwerk, Zweigen bis hin zu kleinen Baumstämmen. Dann, vor dem Halt in Speicher, ein Wehr, kurz hintereinander mehrere Tunnel und Brücken; es geht hin und her über den Fluss und wieder zurück, Felsen zwischen Bahn und Fluss, das Tal wird eng.
Auw/Kyll und Daufenbach
Bunt und rot: der heimische Sandstein an der Wand
Dann ist Auw erreicht und der Zug bleibt ein kleines Weilchen stehen, um den Gegenzug abzuwarten. Aus dem Zugfenster kann ich das mustergültig renovierte Haus neben den Gleisen genau betrachten, aus exakt behauenen Sandsteinquadern, mit Details wie geschnitzten Holzbalken. Im selben Baustil wie so viele Häuser entlang der Bahnstrecke. So wurde damals in Kaiser Wilhelms Zeiten für die Bahnbediensteten gebaut. Auch die Bahnhöfe folgen stets demselben Muster und sind aus dem hier in der Region abgebauten roten Sandstein gebaut. Zwischen Kyllburg und Kordel florierte im 19. Jh. bis ins frühe 20.Jh. die Steinindustrie, hier findet sich der Buntsandstein in besonders guter Qualität.
Der Zug verlässt schließlich Auw. Noch kurz ein Blick auf die Kirche, die am Krautwischtag 15. August zu Mariä Himmelfahrt zum Wallfahrtsziel wird – und gleich tauchen rechts des Flusses ein Riesenwehr und eine große Mühle auf; sogar eine Kapelle gehört zu dem ausladenden Gebäudekomplex. Ab hier bis Daufenbach verläuft die Strecke eingleisig.
Kordel
Als der Zug in Kordel einläuft, sehe ich den – natürlich – aus rotem Sandstein gebauten Bahnhof, auch er ein Rotsandsteinquaderbau von 1871 und im Wegfahren noch fliegen die hübschen Details am holzgeschnitzten Ständerwerk des Bahnsteigs vorbei: bunt gekleidete Musikanten, man hört sie geradezu mit ihren Schalmeien und Dudelsäcken Mittelalterflair verbreiten – und da ist sie auch schon, nicht die erste Mittelalterburg auf der Strecke, aber eine malerische, die Ruine Ramstein. Gar nicht so hoch sitzt sie auf einem Bergkegel im hier sehr breit gewordenen Kylltal.
Weiter nach Trier
Der spektakuläre Teil der Reise liegt nun hinter mir, der weitere Weg bis Trier ist eher das Übliche – aber die anderthalbstündige Zugreise ist wie im Flug vergangen, beim Blick auf die Kyll, wie sie rasant und flott der Mosel zuströmt. Vorbei an weißen Vögeln, Burgen, Mühlen und roten Bahnhöfen der Preußenzeit.